„Mitten in der Stadt über Gott stolpern“: Martina Baur-Schäfer über ihre evangelische Kirche in der Stadt – 40 Jahre Rückblick und Ausblick

Gutes für Leib und Seele lautet das Motto im Kirchenpavillon im Zentrum von Bonn. (Foto: Joachim Gerhardt)

Martina Baur-Schäfer hat den Kirchenpavillon in Bonn eigentlich mit erfunden. Das erste Stadtkirchencafé dieser Art in Deutschland. Pionierarbeit für offene Kirchenarbeit. Damals in Bonn noch am Friedensplatz, später in der Budapester Straße, heute vor der Kreuzkirche am Kaiserplatz. 40 Jahre ist sie nun tätig für die evangelische Kirche in Bonn. Herzlichen Glückwunsch und Zeit für eine persönliche Zwischenbilanz zum Dienstjubiläum zum – kein Aprilscherz – 1. April 2023.

Martina Baur-Schäfer, Leiterin des Kirchenpavillons und der evangelischen Stadtkirchenarbeit in Bonn (Foto: J. Gerhardt)

40 Jahre evangelische Kirche, Du bist das Gesicht der Stadtkirchenarbeit in Bonn. Unzählige Projekte hast Du angeschoben, durchgeführt. Welche ist heute im Rückblick ein ganz besonderes?

Martina Baur-Schäfer: Wir arbeiten im Kirchenpavillon ja unter der Leitfrage: „Hilft das, was wir anbieten, den Menschen, in die Reflexion über ihr Leben und ihren Glauben zu kommen?“ Am einfachsten gelingt mir das im persönlichen Gespräch, und ich habe unmittelbar eine große Anzahl von Gesichtern vor meinem inneren Auge, mit denen ich im Lauf dieser 40 Jahre intensive Gespräche führen durfte.

Aber es gibt auch viele Projekte, die eine ähnliche Wirkung hatten, die „Offline“-Aktion auf dem Münsterplatz zum Beispiel, das Adventsliedersingen mit dem Bläserchor in der Bahnhofshalle, die Ökumenische Kirchenhütte auf dem Weihnachtsmarkt und vieles andere.

Was hat Dich nun besonders bewegt im Rückblick, auch heute noch?

Martina Baur-Schäfer: Besonders bewegt hat mich unser Mittwochs-Impuls. Mitten im Bistro-Betrieb die Menschen beim Essen und Trinken zu unterbrechen, das war schon ausgesprochen gewagt. In maximal zwei Minuten etwas zu sagen, was sie in ihren Alltag mitnehmen, was sie nachhaltig beschäftigen sollte, das war eigentlich die Quadratur des Kreises.

Ein Tag ist mir noch lebhaft vor Augen, unter den Gästen saß ein junger Mann im Trenchcoat mit Aktentasche, der zu Mittag aß. Als ich die Glocke anschlug und eine kurze Unterbrechung ankündigte, schaute er eher irritiert und ein bisschen unwirsch. Dann hielt unser damaliger Pfarrer seinen Kurzimpuls, der Mann legte Messer und Gabel beiseite und hörte konzentriert zu. Danach stand er auf, ging zu dem Pfarrer und sagte, er sei erst genervt gewesen, unterbrochen zu werden, aber jetzt könne er sich nur bedanken: Dieser Impuls würde ihn sicherlich noch durch die Woche begleiten. Da habe ich gedacht: Danke, lieber Gott, Volltreffer! Genau das war unser Ziel! Schade, dass wir dieses Format zurzeit nicht mehr anbieten können!

Herzlichen Glückwunsch Martina Baur-Schäfer von Superintendent Dietmar Pistorius (rechts) und großen Dank für 40 Jahre Innovation und Engagement für die evangelische Kirche (Foto: Martin Engels)

Stadtkirchenarbeit ist Kirche nah am Menschen, am Puls der Zeit. Doch nichts ist derzeit mehr selbstverständlich. Auch unsere evangelische Kirche muss sich erklären, zeigen, warum es gut ist, dass sie da ist. Wo siehst Du die Herausforderungen für Kirche in der Stadt gerade ganz besonders?

Martina Baur-Schäfer: Mein Eindruck ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die eigene Person besonderes Gewicht hat: selbst immer zu tun, was man will, sich – auch durchaus einseitig – für das einzusetzen, was man selbst am wichtigsten findet. Unser christliches Angebot mit einem Gott, dem ich mich vorbehaltlos anvertrauen kann, bedeutet im Endeffekt: Ich akzeptiere jemanden über mir, der weiter denkt als ich, der mehr überblickt als ich, der mir den Weg weist. Sozusagen Demut statt Ichbezogenheit.

Dieses Angebot wirkt heute fast wie ein Anachronismus.

Martina Baur-Schäfer: Genau, das passt für viele Menschen nicht in ihr Bild von sich selbst. Ich glaube deshalb, dass das wichtigste Anliegen für unsere Kirche sein muss, Gott wieder als positive Option in die Köpfe zu bringen. Zufallsmomente zu schaffen, in denen Menschen spüren: Gott hat ja was mit mir zu tun, mit meinem Alltag, meinem Denken und Fühlen, meinem Sein, mit dieser Welt. Man müsste überall „über Gott stolpern“, finde ich. Nicht als Vorschrift, engen Rahmen, moralische Einschränkung, sondern als Zusage, als hilfreiche Orientierung und Erinnerung daran, dass wir im Miteinander mit unseren Nächsten besser leben.

Wie kann das gelingen?

Martina Baur-Schäfer: Es kann sein, dass man das mit interessanten Veranstaltungen erreicht, es kann sein, dass man es mit wegweisenden Entscheidungen über Investitionen zum Beispiel in Klimaschutz erreicht – der bei uns „Bewahrung der Schöpfung“ heißt –, es kann sein, dass man es in digitalen „chats“ oder persönlichen Gesprächen erreicht. Wichtig wäre mir, dass die Kirche sich nicht auf Mitgliederpflege beschränkt, sondern mehr als zuvor „hinausgeht in alle Welt“. Der Kirchenpavillon mit dem schönen Vorplatz und der Kreuzkirche im Rücken kann dabei die erste Stufe sein, in einem alltäglichen Rahmen solche spannenden Stolpersteine anzubieten, die gesamte Innenstadt müsste im Fokus stehen.

Was siehst Du mit Deiner langen Erfahrungen kritisch?

Martina Baur-Schäfer: Große Sorge bereitet mir, wie viele Aufgaben wir als Kirche haben, die mit dem Verwalten von Gebäuden und Vorgängen, dem Abarbeiten bürokratischer Vorgaben und ähnlichem zu tun haben. Wenn unsere Pfarrerinnen und Pfarrer, unsere Mitarbeitenden dadurch gehindert werden, sich Zeit für den Dialog mit Menschen zu nehmen, haben wir den falschen Weg eingeschlagen. Wir brauchen mehr „Zeit fürs Wesentliche“, wie das bei uns in der evangelischen Kirche heißt. Und das heißt konkret, offen und neugierig bleiben und immer wieder neu auf die Menschen zugehen!

Das Gespräch führte Joachim Gerhardt

Weitere Infos: www.kirchenpavillon.de

(23.03.2023 / ger)

  • 23.3.2023
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