Medientermin: Erste Forschungsarbeit zu sexualisierter Gewalt

Martinstift Moers: Aufarbeitung unter Beteiligung Betroffener

Moers/Düsseldorf. „Aufarbeitung der gewaltförmigen Konstellation der 1950er Jahre im evangelischen Schülerheim Martinstift in Moers“ lautet die Überschrift der ersten regionalen wissenschaftlichen Untersuchung von Gewalt und sexualisierter Gewalt im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland. Am 30. März 2023 wird die Aufarbeitung im Rahmen eines Medientermins in Moers öffentlich vorgestellt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bergischen Universität Wuppertal und der Fachhochschule Potsdam, die die Vorgänge im Martinstift unter Beteiligung Betroffener untersucht haben, werden ihre Ergebnisse präsentieren. Zwei ehemalige Schüler, die maßgeblich an der Aufarbeitung beteiligt waren, werden die Untersuchung, die im April 2022 begonnen wurde, kommentieren und einordnen. Stellvertretend für die Evangelische Kirche im Rheinland, den Kirchenkreis Moers, die Kirchengemeinde Moers und das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe gibt Vizepräses Christoph Pistorius eine erste Stellungnahme ab und wird den weiteren Umgang mit den Ergebnissen des Forschungsprojekts skizzieren.

Wir laden ein zum

M E D I E N T E R M I N
zur Vorstellung der Ergebnisse des Forschungsprojekts
zur Aufarbeitung der gewaltförmigen Konstellation im Martinstift
am Donnerstag, 30. März 2023, 10 Uhr,
in der Städtischen Musikschule (ehemals Martinstift),
Filder Straße 126, 47447 Moers.

Eine Anmeldung an pressestelle@ekir.de bis zum 27. März ist zwingend erforderlich. Die Bedeutung des Themas und die Möglichkeit der unmittelbaren Begegnung mit den ehemaligen Schülern, die an der Aufarbeitung mitgewirkt haben, sprechen für eine präsente Teilnahme vor Ort. Ausnahmsweise können Journalist*innen aber auch einen Link zur digitalen Teilnahme an der Veranstaltung erhalten.

Das Martinstift in den 1950er Jahren

Die Lage in der Moerser Einrichtung beschreibt der Forschungsbericht in seiner Einleitung so: „Im evangelischen Schülerheim Martinstift in Moers wohnten in der ersten Hälfte der 1950er Jahre etwa 70 Jungen im Alter von zehn bis 20 Jahren. Sie besuchten das nahegelegene Gymnasium Adolfinum und sollten im Martinstift fernab des Elternhauses ein ,von christlicher Hausordnung geregeltes Gemeinschaftsleben‘ führen. Pädagogisches Personal stand dafür jedoch nur eingeschränkt zur Verfügung. Die meisten Mitarbeitenden waren zudem ohne entsprechende Qualifizierung. Manche setzten sich bei den Jugendlichen daher auch mit Gewalt durch. Leiter des Schülerheims war seit 1953 der studierte Pharmazeut und Gymnasiallehrer Johannes Keubler. Das von ihm errichtete Gewaltregime aus brutalen körperlichen Strafen und sexuellem Missbrauch konnte er fast zwei Jahre lang aufrechterhalten. In einem Prozess am Landgericht Kleve wurde er im Mai 1956 wegen ,Misshandlungen und sittlicher Verfehlungen‘ an zahlreichen Schülern zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.“

Frage nach der institutionellen Verantwortung

Obwohl der Missbrauch aufgedeckt, der Täter fristlos entlassen, angezeigt und strafrechtlich verurteilt worden war, „hatte nach Ende des Gerichtsprozesses fast niemand mehr mit seinen Opfern – den Schülern des Martinstifts – die Auseinandersetzung gesucht und ihnen Unterstützungen angeboten. Sie wurden mit ihren Gewalterfahrungen alleine gelassen“, so die Forschenden. Davon ausgehend haben sie nicht nur die Geschichte der Gewalt im Martinstift sowie die Geschichte ihres Verschweigens aufgearbeitet, sondern auch die pädagogischen Kontexte und den gegenwärtigen Umgang mit dem Fall. Ihr Bericht fragt danach, wie die heutigen Nachfolgeinstitutionen mit der institutionellen Verantwortung für die Geschehnisse umgehen.

  • 16.3.2023
  • Jens Peter Iven
  • Jens Peter Iven