Frieden stiften

Musik 1: Prayer of the mothers

Interpretin:

Yael Deckelbaum (feat. Lubna Salame, Danile Rubin, Miriam Tukan & Rana

Choir), Single: Prayer of the mothers, Label: 2017 Yael Deckelbaum, LC:

unbekannt;

Autorin: Wir

sitzen beim Frühstück, als uns die Nachrichten erreichen. Terrorangriff in

Israel.

Es ist unser erster Urlaubstag. Wir könnten

auf das ruhige silbrig glitzernde Blau der Cote Azur sehen, und sehen doch die

nächsten Stunden nur auf unsere Smartphones.

Um uns herum so viel Schönheit aus Gelb und

Blau: Die Sonne strahlt mit spätsommerlicher Wärme, das Meer glitzert friedlich

in vielen Tönen von Blau bis Grün. Und trotzdem starren wir rauf unsere

Smartphones und in uns wächst das Grauen.

Können Sie sich erinnern an den Morgen des 7.

Oktober? Morgen ist es ein Jahr her.

Die meisten von uns haben Erinnerungen an

diesen Tag. Bilder im Kopf.

Und die mischen sich mittlerweile mit vielen anderen

Bildern: Aus dem Terror der Hamas am 7. Oktober ist ein Krieg geworden mit

Tausenden von Toten und Hundertausenden von Vertriebenen – auf beiden Seiten. Unendliches

Leid – bei Männern, Frauen, Kindern in Israel und Palästina. Verlorenes

Vertrauen. Verlorene Hoffnung. Kann es überhaupt noch einen Weg in eine

friedliche Zukunft geben? Wie soll das gehen -miteinander?

Musik 1: Prayer of the mothers

Autorin: Am Abend des 7. Oktober 2023 tritt Yael Deckelbaum im

Rahmen der Achava Festspiele in Erfurt auf. Drei Tage vor ihrem Konzert hatte

die Musikerin sich noch mit israelischen und palästinensischen Frauen am Toten

Meer getroffen, um gemeinsam über den Frieden zu sprechen und zu singen.

»Prayer of the Mothers«, das Gebet der Mütter für den Frieden, ist seit Jahren

ihre Hymne. An diesem 7. Oktober singt und

betet sie gemeinsam mit dem Publikum: Vom Norden zum Su?den; vom Westen zum

Osten – hör das Gebet der Mütter. Bring ihnen Frieden. Bring ihnen Frieden…

Musik 1: Prayer of the mothers

Autorin: Es

gibt sie: die Menschen, die – trotz allem – darum ringen; die unermüdlich ihre Stimme

erheben für Frieden und Verständigung: Kommt, wir reden miteinander! Lasst uns

versuchen den anderen zu verstehen, empathisch zu bleiben. Lasst uns den Sinn

für das Menschliche bewahren inmitten von wachsendem Hass und Gewalt.

Eine dieser Stimmen gehört Sarah Bernstein.

Sie leitet seit vielen Jahren das Rossing Center for Education and Dialogue,

ein Zentrum für Bildung und Dialog in Jerusalem:

O-Ton: “I was born and brought up in England, I’m Jewish and when I finished

university in England I moved to Israel, so I’ve been living in Israel for nearly

40 years. For the last almost 25 years I have been working in the field of

interreligious peacebuilding in Israel and Palestine."

Sprecherin (overvoice): „Ich wurde in England geboren und bin dort aufgewachsen.

Ich bin Jüdin, und nachdem ich mein Studium in England abgeschlossen hatte, bin

ich nach Israel gezogen. Ich lebe also nun seit fast 40 Jahren in Israel. In

den letzten fast 25 Jahren arbeite ich im Bereich der interreligiösen

Friedensarbeit in Israel und Palästina."

Autorin: Das Rossing

Center for Education and Dialogue in Jerusalem setzt sich seit vielen Jahren

für ein friedliches Miteinander und den Dialog zwischen Juden, Christen und

Muslimen ein.

Nach dem 7. Oktober hat das Rossing Center

seine Arbeit intensiviert, um Vorurteile abzubauen und Empathie zwischen den

Gemeinschaften zu fördern. Doch die Herausforderungen sind größer als jemals

zuvor:

O-Ton: "The

7th of October was a terrible, appalling day. Israelis and Palestinians are all

traumatised, they are consumed by fear, there has been a sharp rise in hatred,

and in these circumstances, it is very difficult for each side to look beyond

their own pain and suffering to the pain of the other side."

Sprecherin (overvoice): "Der 7. Oktober war ein schrecklicher,

entsetzlicher Tag. Die Israelis und Palästinenser sind alle traumatisiert, sie

sind in ihrer Angst gefangen. Der Hass hat auf beiden Seiten stark zugenommen,

und unter diesen Umständen ist es sehr schwierig für jede Seite, über das

eigene Leid und den eigenen Schmerz hinwegzusehen und das Leid der anderen wahrzunehmen."

Autorin: Inmitten

dieser schwierigen Lage ist das Rossing Center aktiv. Es arbeitet weiterhin mit

israelischen Schulen, Universitäten, Erwachsenen und Kindern, um sie dabei zu

unterstützen, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und einen Dialog zu

eröffnen.

Und auch, wenn das Reden miteinander fast

unmöglich ist in dieser Zeit, kann es schon ein erster wichtiger Schritt sein,

dem anderen nur zuzuhören, ohne sofort „Ja, aber …“ zu sagen und die Mauern

hochzuziehen. Jede und jeder leidet, jeder und jede kennt jemanden, der

Angehörige verloren hat, verletzt oder vertrieben worden ist. Alle haben Angst

um geliebte Menschen, Angst um sich selbst, Angst vor dem Verlust von Heimat

und sicherer Zukunft.

Alle haben schon genug mit sich selbst zu

tun. Aber Frieden, Versöhnung. Zukunft – das gibt es nur, wenn es Schritte

aufeinander zu gibt.

O-Ton: "We

are working with many different groups, helping them process their pain and

trauma, and helping them reach a place where they can listen to each other,

understand the experiences of the other side as well as their own. Trust is

very difficult these days, but at least they can begin to listen."

Sprecherin (overvoice): "Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Gruppen;

helfen ihnen, ihren Schmerz und ihr Trauma zu verarbeiten, und unterstützen sie

dabei, dahinzukommen, dass sie einander zuhören und die Erfahrungen der anderen

Seite ebenso wie ihre eigenen verstehen können. Vertrauen ist in diesen Tagen

sehr schwierig, aber es ist schon viel erreicht, wenn sie beginnen, einander

zuzuhören."

Autorin: So

wie sich die Angst bei Israelis und Palästinensern breit macht, werden die

Menschen auf beiden Seiten des Konfliktes auch zunehmend von Hass bestimmt. In

kleinen Gruppen und in einem geschützten Rahmen lernen Israels und

Palästinenser in Workshops des Rossing Center, einander von ihrer Angst und

ihrem Hass zu erzählen. Teilnehmende dieser Workshops sind meist Multiplikatorinnen

wie Lehrerinnen und Jugendmitarbeiter. Allein zu reden und einander in Ruhe

zuhören zu können, ist schon ein kleiner, aber wichtiger Teil der

Versöhnungsarbeit.

Für Sarah Bernstein und alle, die im Rossing

Center mitarbeiten, ist klar, dass es im Grunde keine Alternative gibt zu

dieser Arbeit in kleinen Gruppen und geschützten Workshops. Wenn Juden, Muslime

und Christen; Menschen aus Israel und Palästina nicht im Gespräch bleiben und

Verständnis füreinander entwickeln, kann keine Seite in Frieden leben.

O-Ton: "There

are something like 7 million Jews and 7 million Palestinians living between the

river and the sea. There is no other option than learning to live together. If

we don’t learn to live together, we’re going to die together, and we choose

life."

Sprecherin (overvoice): "Es leben ungefähr 7 Millionen Juden und 7

Millionen Palästinenser zwischen dem Fluss und dem Meer. Es gibt keine andere

Option, als zu lernen, zusammen zu leben. Wenn wir nicht lernen, zusammen zu

leben, dann werden wir zusammen sterben. Und wir wählen das Leben."

Musik 2: Think of othersInterpret:

Solidarity Projekt (feat. Norman Issa, Peter Yarrow, Noa Achinoam Nin, Miriam

Toukan, Kobi Farhi, Adam Gorlizki, David Broza, Bassam Beroumi, Yossi Zabari

& Sameh Saz Zakout), Single: Think of others, Label: Mira Awad, LC:

unbekannt

Autorin: Und

wenn du heute Abend von der Arbeit nach Hause kommst, dann denk doch auch an

die Menschen, die in Not sind. Denk an die, die in Flüchtlingslagern leben und

sich nach Zuhause sehnen.

Und wenn du deine Kriege führst, dann denk

auch an die, die immer noch an Frieden und Liebe glauben. Versuch doch für

einen Moment von dir abzusehen und die Not des anderen in den Blick zu nehmen.

So besingt es der Song „Think of others“ – „Denk an andere“.

Auch in Deutschland haben der 7. Oktober und

seine Folgen die politische Landschaft verändert und den interreligiösen Dialog

sehr viel schwieriger gemacht. Wo sich über Jahre und Jahrzehnte Formen der

Verständigung und des Dialogs zwischen den Religionen entwickelt hatten, ist

jetzt oft Stillstand in den Gesprächen zu beobachten.

Der neu sichtbar – und spürbar gewordene

Antisemitismus in Deutschland macht vieles kaputt, was an Beziehungen gewachsen

ist, und zerstört gerade aufgebautes Vertrauen.

Alle Seiten haben Sinn für die jeweils eigene

Not, aber die Not des anderen wahrzunehmen, wird als Zumutung empfunden.

Wolfgang Hüllstrung, Beauftragter der

Evangelischen Kirche im Rheinland für den christlich-jüdischen Dialog sieht in

den jüngsten Entwicklungen eine große Herausforderung.

Mit Blick auf die Geschichte der christlich-jüdischen

Verständigung in Deutschland, betont er die Bedeutung des Staates Israel für

jüdische Communities weltweit und fordert Verständnis für die Gefühle der

jüdischen Gemeinschaft in Deutschland:

O-Ton: "Es ist sehr wichtig zu

verstehen, wie sich die jüdische Community in Deutschland fühlt. Viele

verstehen nicht, warum sich die jüdische Community so bedrängt fühlt, oder

warum sich ein Stück weit Resignation ausgebreitet hat. Israel ist heute für alle

jüdischen Communities ein ganz wichtiger Heimatort und Quellort jüdischer

Religiosität und Kultur, auch säkularer jüdischer Kultur. Da gibt es ganz enge

Verbindungen, nicht nur über Familienmitglieder, sondern auch kulturell und

religiös." (…)

Autorin: Viele,

die sich auf jüdischer Seite über Jahre im christlich-jüdischen Dialog

engagiert haben, machen sich große Sorgen, berichtet Wolfgang Hüllstrung.

O-Ton: "Sie stellen mir inzwischen die

Frage: Wir haben doch so viel gemacht an Dialog. Wir haben so eine lange

Geschichte, gerade auch hier im Rheinland, aber auch in anderen Regionen

Deutschlands und Europas. Und jetzt sehen wir, es hat uns doch in keinster

Weise weitergebracht. Wie kann jetzt eine solche Antisemitismuswelle wieder

entstehen, noch heftiger als schon in früheren Konfliktsituationen? Was hat der

Dialog dann eigentlich für uns Juden und Jüdinnen gebracht?"

Autorin: Über

den plötzlich wieder so sichtbaren Antisemitismus und die zunehmenden

antisemitischen Gewaltdelikte waren viele überrascht. Waren wir nicht schon

weiter? Gelernt aus der Geschichte? Wir rufen laut: Nie wieder ist jetzt? Und

alle stehen auf gegen Antisemitismus? – Ist leider nicht passiert. Und die

Gespräche verstummen, bloß nicht den Konflikt suchen. Lieber übers Wetter reden.

Der 7. Oktober hat auch Europa verändert.

Aber bloß mal kein Lied davon singen, man

könnte sich ja angreifbar machen.

Musik 3: Oktober in EuropaInterpret:

Antilopen Gang, Single: Oktober in

Europa, Label: Antilopen Geldwäsche; LC: 52212

Autorin: Mit

einem Rap Song macht sich die Antilopen Gang vor einigen Monaten angreifbar. In

einer aufgeheizten Situation, in der sich viele aus Angst und Frustration in

Schweigen zurückgezogen haben, beschreibt der Song traurig, aber nicht

resigniert, das toxische Klima in unserer Gesellschaft. Oktober in Europa.

Heute ist der 6. Oktober 2024. Und was jetzt? Wie kann es weiter gehen? In

Israel und Palästina? Hier bei uns? Und: Was können wir tun, damit die Gräben

nicht noch tiefer werden, damit Verständnis für die andere, den andere wachsen

kann?

Sarah Bernstein und Wolfgang Hüllstrung

setzen nach wie vor auf den interreligiösen Dialog als einen möglichen

Schlüssel zur Konfliktlösung. Denn nur, wenn wir im Gespräch bleiben, gibt es

eine Chance für ein friedliches Leben für alle.

Und, egal ob Christin, Jude, Moslem, in

unserem Glauben an Gott kann auch die Chance für ein gegenseitiges Verständnis

liegen. Der Wunsch nach Frieden und Wohlergehen – Salaam und Schalom – für alle

Lebewesen verbindet uns. Genauso die Idee, dass es unsere Aufgabe als

gottgläubige Menschen ist, dem Frieden zu dienen.

Frieden fällt nicht von Himmel, er muss

gelernt und geübt und gebaut werden.

Von uns. Von mir und von dir.

In Deutschland spielt der christlich-jüdische

Dialog, auch aufgrund unserer Geschichte, eine zentrale Rolle, um Vorurteile

abzubauen und ein friedliches Miteinander zu fördern. Das Miteinander der

Religionen in unserem Land kann aktuell die Vermittlung durch die christlichen

Kirchen gut gebrauchen, damit das interreligiöse Gespräch nicht abbricht. Damit

wir lernen, einander zu verstehen. Damit wir suchen und finden, was uns

verbindet, statt zu betonen, was uns trennt.

O-Ton: „Und da können die Jüdinnen und Juden

auch in unserem Land nicht von sich aus drauf zugehen, sondern da bitten sie

eigentlich uns, die Brückenbauer zu sein,

könnt ihr nicht mit den muslimischen

Communities in Deutschland irgendwie da in einen Dialog eintreten oder uns

zumindest zusammenbringen, vielleicht eben auch im Sinne dieses Prinzipes

erstmal zuhören, gegenseitiges Zuhören ermöglichen.“ (Hüllstrung)

Autorin: So

Wolfgang Hüllstrung. Was können wir tun, damit die Gräben nicht noch tiefer

werden, damit Verständnis für die andere, den anderen wachsen kann? Damit

Menschen jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens gut zusammenleben

können?

In Bonn hat sich nach den Terrorangriffen der Hamas vom 7. Oktober und den folgenden

kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten die Bonner Initiative für

Respekt und Zusammenhalt (BIRZ) gegründet. Menschen unterschiedlichen Glaubens

teilen ihre Erfahrungen und Meinungen miteinander, üben Toleranz und treten

miteinander für Frieden und Versöhnung ein. Kleine Initiativen wie diese gibt

es deutschlandweit: Es gibt Abrahamische Frauengruppen, Jüdisch-Muslimische

Tacheles-Duos, interreligiöse Kooperationen

und Friedensgebete. Es gibt gegenseitige Besuche in Kirchen, Moscheen und

Synagogen, Workshops in Schulen.

Ein Schritt zum Miteinander kann es sein, sich in solchen

Initiativen und Gruppen zu engagieren, hier bei uns. – Und was die Friedensarbeit in Israel und Palästina

betrifft:

O-Ton: „You can of course look up the

Rossing Centre, you can make a donation, you can help support, you can sign up

for our newsletter, you can get involved.

But you

can also learn to talk to each other here and even more importantly learn to

listen

to each

other.” (Bernstein)

Sprecherin (overvoice): „Sie können natürlich das Rossing Centre recherchieren

und mit einer Spende machen, sich für unseren Newsletter anmelden oder sich

engagieren. Aber Sie können auch einfach lernen, miteinander zu reden und, noch

wichtiger, einander zuzuhören.“

Autorin: So

Sarah Bernstein. Wir wären arm dran, wenn es Initiativen wie das Rossing Center

in Jerusalem oder die kleinen und großen interreligiösen Initiativen bei uns

nicht gäbe.

Wir alle sehnen uns nach Frieden, Respekt,

Zusammenhalt.

Es ist an der Zeit dafür etwas zu tun.

In der Bergpredigt

Jesu heißt es: Glücklich zu preisen sind die, die Frieden stiften, denn sie

werden Töchter und Söhne Gottes genannt werden. (Mt 5,9)

Ich möchte mich

gerne als Tochter Gottes in diesen Tag eintragen. Und in den Tag morgen, den 7.

Oktober. Ich werde grüßen: „Friede sei mit Dir! Salam. Schalom. Ich werde für

den Frieden beten. Ich werde mich am Gelb der Sonne freuen und am Blau des

Himmels. Denn die Liebe ist stärker als der Tod. Davon bin ich fest überzeugt.

Und der Gruß „Friede

sei mit dir! Geht raus an alle Töchter und Söhne Gottes und alle, die es werden

wollen.

Musik 2: Think of others

Autorin (overvoice): Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Pfarrerin

Anne Kathrin Quaas aus Bonn.

Musik 2:

Think of others

Freistehend

Redaktion: Landespfarrer

Dr. Titus Reinmuth

  • 05.10.2024
  • Anne Kathrin Quaas