
Musik 1: Im Rauschen dieser Zeit
Titel: Im Rauschen dieser Zeit; Komposition: Timo
Böcking & Samuel Dembi Samba; Interpreten: HERZ+MUND; Album: Im Rauschen
dieser Zeit (feat. Samuel Rösch) – Single; Label: Timo Böcking, Martin
Buchholz; LC: unbekannt
Autor: „Ich will deine Stimme hörn im Rauschen dieser Zeit!“ Timo Böcking und Sam
Samba haben dieses Lied im vergangenen Jahr geschrieben. Mitten in einer Zeit,
in der viele Krisen zusammenkommen. Seitdem singen wir es häufiger in unserer
Gemeinde. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Mir spricht dieses Lied gerade im
Moment aus dem Herzen. Das Bild vom „Rauschen dieser Zeit“ spricht mich sofort
an. Ich habe das Gefühl, es „rauscht“ gerade buchstäblich heftig an allen Ecken
und Enden.
Natürlich
gibt es ein gewisses Grundrauschen immer in unserem Leben. Die Klänge und Geräusche,
die uns umgeben. Die Gespräche, die wir führen. Die vielen Nachrichten und
Informationen, die wir aufnehmen. Und in uns selber „rauscht“ es ja auch. In unseren
Köpfen spricht es ganz häufig. Und diese inneren Stimmen, die sind ja
zum Teil uralt. Manche meinen es gut mit uns. Manche machen uns aber auch ganz
schön runter. Oder setzen uns unter Druck.
Also:
es „rauscht“ eigentlich immer. Aber ich habe den Eindruck: das Rauschen „dieser
Zeit“, jetzt, ist nochmal besonders stark. Ein Beispiel: Wir erleben gerade
Hassbotschaften und Fake News wie vielleicht noch nie. Natürlich, gelogen wurde
immer schon, seit es Menschen gibt. Aber die Lügen hatten wahrscheinlich noch
nie so ein Ausmaß und eine Reichweite und Wirkung wie jetzt. Gerade in den
digitalen Medien können sie sich rasant verbreiten. Und sie werden immer
hemmungsloser verbreitet. Und dann „rauscht“ es in vielen Diskussionen gerade
ganz heftig. Ich erlebe so viele Stimmen, die aufgeregt sind und aggressiv und
zornig. Gerade im Netz ist das immer wieder zu sehen. Da muss manchmal nur ein
bestimmtes Wort fallen, und sofort gehen Leute in die Luft und schlagen los. Und
schon ist eine sachliche Diskussion am Ende und es wird nur noch mit harten
Bandagen gekämpft. Und ehrlich gesagt: Mir selber geht das manchmal auch so.
Der
Psychologe Volker Busch hat in seinem Buch „Kopf hoch“ dafür einen schönen
Vergleich gefunden: er spricht von Entzündung! Er sagt sinngemäß: „Wenn
wir uns einen schmutzigen Splitter in den Fuß jagen und die Stelle wird heiß
und rot, dann kämpft der Körper gegen Viren oder Bakterien und arbeitet daran,
diesen Splitter wieder loszuwerden. Das ist unangenehm, aber sinnvoll und
wichtig. Wenn sich unser Körper aber wegen jeder Kleinigkeit entzündet oder
chronisch entzündet ist, dann tut das überhaupt nicht mehr gut, sondern macht
uns nur krank. Und schwächt uns.“ Und Busch hat den Eindruck, unsere
Gesellschaft ist gerade chronisch an vielen Stellen „entzündet“. Vielleicht,
weil viele Menschen sich von der Fülle der Krisen überfordert und verängstigt
fühlen.
Musik 1: Im Rauschen dieser Zeit
Autor: Ja,
es „rauscht“ gerade richtig heftig. Und damit man in diesem Rauschen nicht
untergeht, ist es so wichtig, auf eine Stimme zu hören, die anders ist. Die
aufbaut und ermutigt. Die auch Missstände aufzeigt, aber nicht, um
fertigzumachen. Sondern um Dinge zurechtzubringen. Um zu heilen. Ich glaube,
wir brauchen gerade im Moment eine Stimme, die uns stärkt und unsere Ängste zur
Ruhe bringt. Und einen Weg zum Frieden aufzeigt, der diesen Namen wirklich
verdient. Und ich glaube, genau so redet Gott mit uns. Jeden Tag.
Der
Punkt ist nur: Gottes Stimme ist meistens leise. Vielleicht kennen Sie die Geschichte
um den Propheten Elia. Der ist ja auch buchstäblich „entzündet“ für Gottes
Sache. Legt sich mit dem Königshaus und mit den Propheten des Gottes Baal an.
Verausgabt sich dabei und lädt am Ende selbst Schuld auf sich. Schließlich flieht
er voller Angst und völlig erschöpft und ausgebrannt in die Wüste und will nur
noch sterben Aber Gott lässt Elia nicht fallen. Er versorgt ihn durch einen
Engel mit Brot und Wasser und viel Ruhe. Und verspricht, Elia zu begegnen und
ihn wieder zu stärken. Elia macht sich neu auf den Weg. Er steigt auf einen
Berg und wartet auf Gottes Stimme. Er erlebt auf diesem Berg einen gewaltigen Sturm,
dann ein Erdbeben und schließlich noch ein heftiges Feuer. Also „Rauschen“ wäre
hier noch mächtig untertrieben. Aber in all diesen lauten Ereignissen ist Gott
gerade nicht. Er kommt in „einer Stimme verschwebenden Schweigens“, wie
es da so schön in der Geschichte heißt. Und diese leise Stimme ist es, die Elia
wieder aufbaut.
Musik 2: Home
Titel: Home; Komposition/Interpretin: Ida Sand; Album:
Meet Me Around Midnight; Label: Label: Act; LC: 07644
Autor: Ich
glaube, dass auch Jesus eine solche leise Stimme in seiner Taufe gehört hat.
Und er hat sich wie Elia dem Rauschen seiner Zeit immer wieder entzogen, den
ganzen Streitgesprächen, den Erwartungen der Menschen um ihn herum, der
politischen Hitze seiner Zeit. Und ist auf einen Berg in die Stille gegangen,
um diese leise Stimme wieder neu zu hören: „Du bist mein geliebtes Kind, ich
freue mich so sehr an Dir!“ Ich glaube, es ist gerade jetzt so wichtig, das
zu tun. Das Rauschen immer wieder mal hinter uns lassen und einen Ort suchen,
an dem es still ist. Wenn Sie das Rauschen dieser Zeit nicht mehr ertragen können,
dann nehmen Sie sich einen stillen Moment und denken Sie an diesen Satz: „Du
bist mein geliebtes Kind, ich freue mich so sehr an Dir!“ Das gilt Ihnen
ganz persönlich! Gott will Ihnen das jeden Tag, jede Stunde neu sagen. Und kein
Rauschen dieser Welt kann diesen Satz ungültig machen oder zum Schweigen
bringen.
Und
gleichzeitig müssen wir sehen: Manchmal zieht uns das Rauschen dieser Zeit
einfach mächtig runter. Und da hilft es gar nichts zu sagen: „Als
Christenmensch müsste ich doch trotzdem stark und zuversichtlich und fröhlich
sein.“ Nein, wenn Sie sich im Rauschen dieser Zeit einfach nur müde und mutlos
und manchmal ohnmächtig fühlen, dann nehmen Sie das so an, wie es gerade ist.
Es ist völlig verständlich. Diese Zeiten sind belastend und anstrengend.
Und manchmal kann man nur mit dem Lied von eben sagen oder besser noch singen: „Wenn
der Nebel dichter wird, dann nimm mich an die Hand und halt mich fest!“
Musik 2: Home
Autor: Und
jetzt? Wie gehen wir in Gottes Sinne mit dem Rauschen dieser Zeit um? Wir
können uns ja nicht dauerhaft da herausziehen. Es gehört zu dieser Welt und zu
unserem Leben. Gott sendet Jesus ja ganz bewusst in diese „rauschende“
Welt. Und uns dann ja auch. Deswegen: was könnte heute unsere Aufgabe sein?
Im
Römerbrief des Apostels Paulus werden Anstöße gegeben, die gerade im heutigen
„Rauschen der Zeit“ erstaunlich hilfreich sein können. Paulus schreibt in Römer
12:
Sprecher:in: „Passt euch nicht dieser Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand
in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr prüfen,
was dem Willen Gottes entspricht.“
Autor: Ich übersetze das mal
frei: „Macht nicht alles mit, was gerade passiert. Und verstärkt das Rauschen
dieser Zeit nicht mit dem, was Ihr sagt und tut. Sondern gebraucht Euren
Verstand und schaut genau hin und prüft die Dinge. Wenn Ihr Nachrichten hört
oder im Netz etwas lest, dann prüft erst einmal: aus welcher Quelle kommt das?
Ist die vertrauenswürdig? Oder haut da jemand irgendetwas raus, um Stimmung zu
machen? Lest in der Zeitung nicht nur die Schlagzeilen. Sondern den ganzen
Artikel. Dann stellen sich manche Dinge plötzlich ganz anders dar als in der
reißerischen Überschrift. Wenn Ihr in einer Diskussion seid, gerade auch im
Netz, dann prüft Eure Worte, bevor Ihr sie sagt oder schreibt: Ist das,
was ich da sage, auch belegt und belastbar? Ist es hilfreich? Wie ist der Ton,
in dem ich spreche? Kann ich es selbst gut hören, wenn jemand so mit mir redet?
Lasst uns einen anderen Ton und Stil in das Rauschen dieser Zeit bringen. So
übersetze ich, was ich bei Paulus lese.
Dann schreibt der Apostel weiter:
Sprecher:in: „Lasst nicht nach in eurem Eifer. Lasst euch vom Geist anstecken und
dient dem Herrn. … Lasst euch auf die Unbedeutenden ein. … Seid alle
miteinander auf Einigkeit aus. … Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit
das möglich ist und es an euch liegt.“
Autor: Das
klingt ja erstmal etwas widersprüchlich: geistlicher Eifer auf der einen Seite
– und Einigkeit und Frieden auf der anderen. Aber gerade diese Spannung passt sehr
gut. Um nochmal Volker Buschs Bild von der Entzündung zu nehmen: An welcher
Stelle ist es wichtig, dass wir uns als Christenmenschen „entzünden“ und
empören? Und stark für andere Menschen eintreten? Gerade für die
„Unbedeutenden“, die Schwächsten unserer Gesellschaft? Und an welchen Stellen
ist es wichtig, dass wir entzündungshemmend wirken, uns nicht
aufregen, die Empörung nicht mitmachen und stattdessen dazu beitragen,
dass Menschen runterkommen? Ohne zu beschwichtigen und das Deckmäntelchen der
Liebe über die Dinge zu legen? Ich glaube, dass das im Moment ein wichtiger
Auftrag für uns ist: entzündungshemmend zu wirken – im Ton, im Stil, im Umgang
miteinander. Dass auch Menschen, die anderer Meinung sind, spüren, dass wir sie
als Menschen achten und respektieren.
Musik 3: Clax’s Theme
Titel: Clax’s Theme; Komponist/Interpret: Till
Brönner; Album: 30 Years North Sea Jazz Festival; Label: 2005 Universal
International Music B.V.; LC: unbekannt
Autor: Im
Johannesevangelium gibt es eine Geschichte, in der Jesus buchstäblich
„entzündungshemmend“ wirkt – im besten Sinne. Da kommen Schriftgelehrte und
Pharisäer mit einer Menschenmenge zu ihm. Und mit einer Frau, die beim Ehebruch
ertappt wurde. Die Stimmung ist zornig und aufgeheizt, viele würden die Frau am
liebsten sofort steinigen. Die Pharisäer nutzen diese hitzige Stimmung, um
Jesus unter Druck zu setzen. Sie sagen: „Meister, wir haben diese Frau gerade
beim Ehebruch erwischt. Sie ist fremdgegangen. Im Gesetz steht, dass eine
solche Frau gesteinigt werden muss. Was sagst Du?“ Was für eine Situation! Was
für ein Druck! Jesus kann hier eigentlich nichts richtig machen. Wenn er sagt:
„Lasst die Frau frei und vergebt ihr“, stellt er sich eindeutig gegen das
Gesetz. Wenn er sagt: „Befolgt das Gesetz und steinigt sie“, handelt er gegen
alles, was er den Menschen bisher an Barmherzigkeit vorgelebt hat. Im Grunde
eine ausweglose Situation. Und dann noch die Aggressivität, die in der Luft
liegt. Wie leicht könnte man sich von dieser Hitze anstecken lassen und selber
aggressiv werden. Oder aber ängstlich und eingeschüchtert allem zustimmen, was
die Menge will.
Und
was tut Jesus? Keins von beidem. Er setzt sich in aller Ruhe auf den Boden und
zeichnet mit dem Finger im Sand. Lässt sich nicht unter Druck setzen, eine
schnelle Antwort zu geben. Allein das wirkt schon entzündungshemmend: wenn man
in so einer entzündeten Situation nicht sofort reagiert, sondern sich Zeit
nimmt, in sich zu gehen. Und dann kommt der Satz, der die ganze Situation
verändert und die Entzündung von einem Moment auf den nächsten abkühlt: „Wer
von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Dieser Satz ist
keine Antwort auf die Frage der Pharisäer: Was sollen wir mit dieser Frau tun?
Jesus weigert sich, auf diese Frage einzugehen. Sondern er dreht sie
stattdessen um und fragt: „Was ist denn mit euch, Sportsfreunde? Wer von euch
ist ohne Schuld? Wer von euch dürfte niemals in die Mitte gestellt und
verurteilt werden? Wer von euch ist noch nie auf Vergebung angewiesen gewesen?
Wer das von sich sagen kenn – der soll anfangen.“ Jesus lenkt die
Aufmerksamkeit von der Frau auf die Leute selbst. Plötzlich müssen sie von sich
selbst Rechenschaft ablegen. Und das kühlt ihren Zorn gewaltig. Und ihre Lust
am Verurteilen auch. Einer nach dem anderen lässt seinen Stein fallen und geht.
Jesus
macht uns hier vor, wie man in erhitzten Situationen manchmal
entzündungshemmend wirken kann. Er zieht sich buchstäblich aus der Hitze heraus
und nimmt sich Zeit zum Nachdenken. Und er lässt sich vom Zorn der Leute nicht
selbst entzünden. Er geht nicht in den Ring. Sondern findet Worte, die die
Leute abkühlen lassen. Ich weiß nicht, ob man in jeder Situation so
wirkungsvoll entzündungshemmend sein kann. Aber ich will von Jesu Verhalten
lernen. Und mich seltener von anderen unter Druck setzen und entzünden lassen.
Das
ist nicht immer leicht. Aber mir hilft dabei eine weitere Empfehlung aus dem
gerade schon genannten zwölften Kapitel des Römerbriefs. Eine Empfehlung, die
auch Jesus in der Bergpredigt gibt:
Sprecher:in: „Segnet die Menschen, die euch verfolgen. Segnet sie und verflucht sie
nicht.“
Autor: Da
fragen sich viele: „Hallo?? Wie soll das gehen?“ Aber versuchen Sie es mal!
Segnen Sie die Menschen, über die Sie sich aufregen, mit denen Sie echte
Probleme haben, die Ihnen fremd sind oder sogar Angst machen. Ich mache das in
letzter Zeit öfter: im Bus, in der Innenstadt, irgendwo unterwegs, in der
Gemeinde, bei Diskussionen auf Facebook, bei denen mir der Kamm schwillt. Und
ich merke, dass mir das hilft, runterzukommen. Wenn ich andere segne, nur für
einen Moment in meinen Gedanken, dann sehe ich sie als Menschen, an denen Gott
etwas liegt. Und die seinen Segen genauso brauchen wie ich. Das rechtfertigt
keineswegs alles, was sie tun. Und das soll Widerspruch gegen sie nicht
abwürgen. Aber ich sehe sie dadurch als Menschen, mit denen mich trotz allem
etwas verbindet.
Und
noch etwas hilft. Die Autorin Karin Kuschik erzählt in ihrem Buch „50 Sätze,
die das Leben leichter machen“, wie sie einmal an einem Filmset ist, um
jemanden dort zu interviewen. Als sie ankommt, ist die Stimmung total
aufgeheizt: alle sind hektisch und aggressiv, Leute brüllen sich an. Nur eine
junge Schauspielerin sitzt gelassen und entspannt an einem Tisch und trinkt
einen Tee. Karin Kuschik spricht sie an und fragt: „Wie machen Sie das, hier so
ruhig zu bleiben?“ Die junge Frau antwortet: „Ach, wissen Sie, worüber ich mich
aufrege, entscheide ich immer noch selbst.“ Für mich ein wunderbarer Satz,
gerade für das Rauschen dieser Zeit. Packen sie ihn sich ein und nehmen Sie ihn
mit.
Ich kann mich dem Rauschen dieser Zeit nicht
entziehen. Und zugleich ist meine Erfahrung: Ich muss mich ihm auch nicht
anpassen. Sondern kann mit Gottes Hilfe einen anderen Klang hineinbringen.
Deswegen möchte ich mich und Sie einfach ermutigen: Lassen Sie uns seine Stimme
suchen und auf sie hören. Falls Sie denn eine Antenne dafür haben. Ich höre
diese Stimme manchmal in der Stille. Oder in der Musik. Manchmal an einem
ruhigen Ort in der Natur. Dann wieder in einem Gottesdienst. Ich habe das
Gefühl: Im Gebet, in einem Text aus der Bibel, in einem Lied kommt Gott manchmal
direkt zu uns und „nimmt uns bei der Hand“. Genau dieses Versprechen
brauchen wir – im Rauschen dieser Zeit.
Dass
Sie das für sich erleben, wünscht Ihnen von Herzen Pfarrer Joachim Römelt aus
Solingen.
Musik 4: Bumpin‘, Titel: Bumpin‘; Komponist/Interpret: Till Brönner; Album: Oceana;
Label: Universal Music International; LC: 97777
Quellen:Busch, Volker: Kopf hoch!
Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten, München 2024
Kuschik, Karin: 50 Sätze,
die das Leben leichter machen, Rowohlt Taschenbuch; 19. Edition 2022
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus
Reinmuth